TEC21, 2016, Heft 38-39 / Investoren-Studienauftrag im selektiven Verfahren, Areal Hardturm Zürich

Hexenkessel mit zwei Türmen

Studienauftrag Areal Hardturm, TEC21, Andreas Kohne
Illustration nightnurse

Der Investorenwettbewerb der Stadt Zürich für das Hardturm-Areal ist entschieden: HRS Investment und Credit Suisse setzen sich mit «Ensemble» zusammen mit Pool Architekten, Caruso St John Architects und Boltshauser Architekten erfolgreich gegen die Konkurrenz durch.

 

Damit die Stadt Zürich mit ihren beiden Fussballclubs und der langwierigen Stadiongeschichte doch noch zu einem «richtigen Fussballstadion» kommt, schrieb die Stadt 2015 auf die Initiative von Privaten einen selektiven Investoren-Studienauftrag aus (vgl. TEC21 51–52/2015). Die Aufgabe bestand darin, auf dem gesamten Hardturm-Areal (54 619 m2) drei Teilprojekte zu planen: ein Fussballstadion für 18 000 Zuschauer, einen gemeinnützigen Wohnungsbau und ein frei wählbares Investorenprojekt, mit dem sich die notwendige Rendite erwirtschaften lässt. Mit den Entwürfen war ein nachhaltiger Businessplan vorzulegen, der die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Gesamtprojekts nachzuweisen hatte und für die Stadt einen angemessenen Baurechtszins beinhalten soll. 

Fünf Bieterteams erfüllten die Eignungs- und Selektionskriterien betreffend Finanzierungsnachweis und Fachkompetenz und stellten sich den komplexen Herausforderungen. In einem nicht anonymen Verfahren mit Zwischenbesprechungen in der Studienauftragsphase erarbeiteten die Teams während knapp sechs Monaten ihre Projekte. Das interdisziplinäre Beurteilungsgremium war angetan von der Vielfalt und der hohen Qualität der Arbeiten und bezeichnete die Beiträge treffend sowohl architektonisch als auch wirtschaftlich als sehr facettenreich.

 

Ensemble vs. Einzelobjekte

Mit einer erstaunlich einfachen städtebaulichen Setzung gelingt es dem Siegerteam, auf das Umfeld angemessen

zu reagieren und gleichzeitig ein Zeichen zu setzen. Der neue gemeinnützige Wohnungsbau übernimmt die vorhandene Bebauungsstruktur im Osten und verwebt das neue Stadion mit der Umgebung. Die beiden Hochhäuser im Westen setzen einen Akzent und bilden den Abschluss und Übergang zur peripheren Bebauung gegen Zürich Altstetten. Den Verfassern ist es gelungen, ein Quartier – mehr noch: ein Ensemble – zu schaffen, bei dem die drei Bausteine jeweils ihre eigenen Charaktere zeigen, dabei aber dennoch hinsichtlich Material, Ausdruck und Konstruktion eine enge Verwandtschaft untereinander aufweisen. 

Eine ähnliche städtebauliche Anordnung verfolgte das Projekt «Portal Hardturm». Das Stadion, geprägt durch seine umlaufende Kolonnade und ikonografische Architektur, wird dabei jedoch viel stärker als öffentliche Versammlungsstätte thematisiert. Beim Investorenprojekt sind es nicht zwei einfache Türme, die direkt auf dem Boden stehen, sondern ein Hochhauskomplex, bei dem aus einem hofartigen Sockelbau drei unterschiedlich hohe Türme herauswachsen und als Gesamtes eher wuchtig und abweisend in Erscheinung treten. Eine städtebaulich gegenteilige Ausgangslage schafft das Projekt «Blau Weiss», bei dem das Stadion in Ost-West-Richtung unmittelbar an das bestehende Wohnquartier anschliesst und der gemeinnützige Wohnungsbau und das Investorenprojekt in einem durchmischten Quartier westlich des Stadions zusammengefasst werden. Die Bauten bleiben in ihrer Ausformulierung jedoch Einzelobjekte, und es entsteht kein übergeordneter Zusammenhang zwischen den verschiedenen Teilen.

 

Stadion im Mittelpunkt

Im Gegensatz zum überhöhten, siebengeschossigen Stadion beim Projekt «Jalkapallo» mit übereinander gestapelten und überhängenden Tribünen ist der Stadionbau beim Siegerprojekt «Ensemble» bewusst tief gehalten, was die gesuchte Verknüpfung mit der Nachbarschaft erlaubt. Mit einer einfachen Schnittlösung wird ein oberes, vom Stadtraum abgehobenes Deck etabliert. Es entsteht eine Verteilerebene für die Zuschauer mit den nötigen Infrastrukturen, und gleichzeitig wird das Erdgeschoss für öffentliche Nutzungen frei. Durch die relativ steilen Tribünen werden die Zuschauer trotzdem nah ans Spielgeschehen herangerückt, was gemäss Architekten die erhoffte Atmosphäre und Stimmung unterstützen soll. Die Fassade aus Glasbausteinen und LED-Elementen l.sst sich farbig bespielen oder zu grossen leuchtenden Bildern verwandeln. Tagsüber nimmt sich das Stadion zurück und erinnert mit den schimmernden Glasbausteinen an Bauten aus dem ehemaligen Industriequartier im Kreis 5.

 

173 gemeinnützige Wohnungen

Der von der Pfingstweidstrasse zurückversetzte, achtgeschossige Wohnungsbau des «Ensembles» reagiert mit seiner mäandrierenden Form auf die unterschiedlichen Seiten und erlaubt eine gute Orientierung und Ausrichtung der Wohnungen. Die lärmempfindlichen Wohn- und Individualräume liegen lärmabgewandt, und die meisten Wohnungen profitieren von einem Balkon gegen den begrünten Aussenraum im Osten. Im EG befinden sich neben allgemeinen Gewerberäumen die Gemeinschaftsräume der Siedlung sowie der Doppelkindergarten mit den dazugehörenden Betreuungsräumen (Hort).

 

Zwei massige Türme

Im Westen schliessen die beiden Wohntürme nicht nur das Areal ab, sondern bilden gleichermassen Auftakt und Endpunkt von Zürich-West. Beide Gebäude verjüngen sich durch zwei Rücksprünge nach oben hin und entwickeln sich zu 137 m hohen Türmen mit identischer Grundfläche. Ihre Höhe wird durch die Fassadengestaltung und Betonung der Vertikalen unterstützt; beim Turm West sind es helle, flächige, beim Turm Ost plastische, bräunlich-rote vertikal durchlaufende Betonelemente. Als Nutzung sind im Sockel jeweils Büro-, Verkaufs- und Gewerbeflächen und in den oberen Geschossen insgesamt 636 Wohnungen vorgesehen. Bedingt durch ihre Proportionen und ihre gegenseitige Nähe wirken die beiden Hochhäuser je nach Betrachtungswinkel in ihrer Erscheinung massig und ungelenk. In Bezug auf ihre Wirkung und das angrenzende Quartier wünschte man sich zwei etwas schlankere und nicht ganz so hohe Türme für den gesuchten Akzent.

 

Öffentlicher Ort

Nach englischem Vorbild – dort kommt die Situierung eines Stadions mitten in einem Wohnquartier besonders häufig vor – soll auch beim neuen Stadtteil Hardturm das Stadion ins Quartier eingebunden werden. Gassenartige Querstrassen, eine Abfolge von Plätzen sowie die durchgehende öffentliche Nutzung im Erdgeschoss werden das Quartier beleben. Womöglich verwirklicht sich die Vorstellung der Architekten, und es entwickelt sich tatsächlich eine Art «Spieltagkultur» wie beim alten Arsenal-Stadion, dem Highbury, wo die Bewohner in den umliegenden Terrace Houses am Spieltag in ihren Gärten Bier verkauften. Bis es so weit ist, muss das Siegerteam sein Projekt bis zur Bewilligungsfähigkeit weiterbearbeiten und in den nächsten rund zwei Jahren einen privaten Gestaltungsplan sowie Baurechtsverträge mit der Stadt ausarbeiten. Stadt- und Gemeinderat müssen diese genehmigen, wobei der Stadtrat davon ausgeht, dass es zu einer (weiteren) Volksabstimmung kommen wird. Stein des Anstosses werden dabei wohl die beiden Hochhäuser und weniger das Stadion sein. • Text: Andreas Kohne

Schweizerische Bauzeitung – TEC21 Heft 38-39/2016; PDF

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